: Ribe 700–1050. From Emporium to Civitas in Southern Scandinavia. Aarhus 2020 : Aarhus University Press, ISBN 9788793423527 284 S. DKK 349,95

: Urbanization in Viking Age and Medieval Denmark. From Landing Place to Town. Amsterdam 2020 : Amsterdam University Press, ISBN 9789462987203 263 S. € 99,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Rösch, Seminar für Ur- und Frühgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Die Urbanisierung Dänemarks ist ein vielbeforschter Gegenstand, dessen historischer Rahmen sich weit über die heutigen Staatsgrenzen erstreckt, nicht losgelöst von der Entwicklung in Schleswig-Holstein, Südschweden und dem südlichen Norwegen betrachtet werden kann und dadurch Gültigkeit für weite Teile Skandinaviens besitzt. Im Gegensatz zu westeuropäischen Urbanisierungsprozessen liegt die Besonderheit in den abweichenden Vorbedingungen gesellschaftlicher, religiöser und ökonomischer Natur – namentlich der Jüngeren Eisenzeit und der Wikingerzeit –, die zu einem zwar von anderen Herrschaftsräumen beeinflussten, nichtsdestotrotz eigenen Ablauf der Stadtwerdung führten.

Beide hier rezensierten Bände nehmen sich dieses Phänomens auf unterschiedliche Weise an. Während der Band von Søvsø den letzten Stand der archäologischen Forschung zu Dänemarks ältester Stadt Ribe zusammenfasst und sich darüber der Urbanisierung nähert, versucht sich Corsi an einem zusammenfassenden Übersichtswerk, dem ersten in englischer Sprache, in dem sie historische, archäologische und numismatische Quellen heranzieht und daran Ablauf, Faktoren und Gründe der Urbanisierung diskutiert.

14 Jahre nach Veröffentlichung des ersten Doppelbands der Reihe Ribe Studier ist mit Ribe 700–1050 der zweite Band erschienen. Der erste Band, damals noch verfasst von Claus Feveile, ist dem Rezensenten ein wohlvertrautes Werk, das er bereits im Grundstudium für eines seiner ersten Referate in der Hand hatte und das mit dazu beitrug, das eigene Forschungsinteresse an der Urbanisierung in Nordeuropa auszubilden.1 Auch dieser Band besticht, wie viele dänische Publikationen, durch eine hohe Druckqualität und eine Fülle erläuternder wie auch illustrierender Abbildungen. Wie Søvsø bereits in der Einleitung anmerkt, berücksichtigt Ribe Studier 2, und das gilt auch für das hier ebenfalls rezensierte Werk von Corsi, noch nicht die jüngsten Forschungen wie das an der Universität Aarhus angesiedelte Northern Emporium Projekt zu Ribe oder auch die letzten Ergebnisse zur Transformation Haithabu/Schleswig.2

Ribe 700–1050 beginnt zunächst mit einer kurzen, aber prägnanten Übersicht über die theoretische Diskussion der Urbanisierung in Nordeuropa, bei dem wichtige Modelle von Henri Pirenne über Karl Polanyi und Richard Hodges bis Anders Andrén und ihre Bedeutung für das Verständnis Ribes zur Sprache kommen. Danach schließt auf über 60 Seiten ein erstes Highlight des Bandes an: eine sehr ausführliche wie spannend zu lesende und reich bebilderte Forschungsgeschichte Ribes. Diese ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern für das Verständnis der über Jahrzehnte hinweg durchgeführten Ausgrabungen, der spezifischen Fragestellungen ihrer Zeit sowie der angewendeten Methoden wesentlich. Ebenso umfangreich geriert sich das nächste Kapitel, das schlicht als Topographie des Küstengebiets Westjütland betiteltet ist, vielmehr aber dem Desiderat einer ausführlichen Betrachtung der umgebenden Kulturlandschaft Ribes im ersten nachchristlichen Jahrtausend begegnet. Erst ab der Hälfte des Buches wird sich dann, nach einigen Vorbemerkungen, auf etwa 100 Seiten der Entwicklung Ribes auf Grundlage des archäologischen Materials gewidmet. Dabei ist es die Stärke des Werkes, dass hier – man muss fast sagen „endlich“ - alle durchgeführten Maßnahmen synthetisiert werden, wodurch eine Reihe neuer Erkenntnisse präsentiert werden kann. Für das 8. Jahrhundert haben sich mittlerweile die Hinweise verdichtet, dass Ribe bereits in der Frühzeit weniger ein saisonal genutzter Handelsplatz als ganzjährig okkupiert war. Im 9. Jahrhundert lässt nach den jüngsten Funden ein weiterer lokal geprägter königlicher Münztyp als Nachfolger des Wodan-Monster-Typs, der Rayface-Deer-Typ, feststellen, der die Bedeutung der Münzgeldwirtschaft in Ribe weiter untermauert und auch als wirtschaftliches Signal gegenüber dem aufblühenden Haithabu diskutiert wird. Deutlich angewachsen sind die archäologischen Quellen zum 10. und insbesondere 11. Jahrhundert. Galt diese Periode aufgrund fehlenden Fundmaterials als eine des Niedergangs, so ist jetzt zumindest sicher, dass die Stadt trotz geringerer Fundmengen weiter prosperierte, wie Kulturschichten auf den privaten Parzellen, neue Gräber um die Kirche, und nicht zuletzt der Bau einer massive Befestigung nahelegen. Unklar bleiben muss jedoch nach wie vor, ob der Handel in Ribe zurückging oder sich nur von dem Gebiet der in Einstraßenlage angelegten Parzellen wegbewegte. Gegen 1050 verlagerte sich der Siedlungskern, der Zeitraum dieses Übergangs lässt sich nicht näher festlegen, um die bereits genannte Kirche westlich der Ribe Å, wo auf mindestens 20 ha ein Stadtgrundriss angelegt wurde, der im Wesentlichen bis heute Gültigkeit besitzt.

Die Ergebnisse kontextualisiert Søvsø in einem abschließenden Kapitel, das der Urbanisierung des südlichen Skandinaviens von 700 bis 1050 gewidmet ist. Dabei wird sich auf die gut erforschten emporien und Protostädte als Referenzen konzentriert, die er in drei Entwicklungsstufen unterteilt, deren wesentliche Charakteristika am Ende jeder betrachteten Zeitspanne noch einmal stichpunktartig zusammengefasst werden. Zusammenstellungen von Merkmalsbündeln für verschiedene Platzkategorien sind traditionell in der Stadtwerdungsforschung Nord- und Mitteleuropas verankert und in zahlreichen Abhandlungen anzutreffen. So attraktiv und übersichtlich eine solche Klassifizierung auch sein mag, so birgt sie jedoch immer die Gefahr der Pauschalisierung, bei der die „Eigenlogik der Stadt“3 schnell außerhalb des Blickfelds gerät. Einerseits führt Søvsø als Kennzeichen der zentralen Stadt um 1050, den civitates, an, dass sie in den maritimen Netzwerken keine Rolle spielten, anderseits werden bereits bestehende urbane Zentren mit ausgeprägter maritimer Infrastruktur wie Schleswig4, Aarhus und gegebenenfalls Ribe – dessen Hafen, wie Søvsø anführt, bislang unerforscht ist – an die Topographie der civitates angepasst.

Nichtsdestotrotz darf Søvsøs Schlussfolgerung weitestgehend zugestimmt werden, dass die Christianisierung einen zentralen Faktor in der Urbanisierung Dänemarks ab der Jahrtausendwende einnahm und auch wesentlich zur Siedlungsverlagerung und Umstrukturierung beitrug. Die Städte neuen Musters, wie ihre Vorgänger in der Regel meist von landwirtschaftlicher Überschussproduktion abhängig, fungierten als Symbole des Christentums in einer nach wie vor weitgehend heidnischen Landschaft. Etwas zu kurz kommt dem Rezensenten dabei jedoch die Bedeutung der Städte bei der Herrschaftssicherung im dänischen Kernland, wie sie etwa von Timothy Bolton diskutiert wird.5

Das Werk von Corsi beginnt mit einer längeren Einführung in das Thema, in der sie bündig Ziel, Rahmen, Quellengattungen, Definitionen sowie eine kurze Forschungsgeschichte darstellt. Daran schließen sechs Hauptkapitel an, von denen sich vier mit verschiedenen zeitlichen Stufen und den jeweiligen Ausprägungen der Urbanisierung beschäftigen, während das letzte ein Fazit darstellt und das erste sich mit den Vorbedingungen befasst. Während die Kapitel sehr übersichtlich in Unterkapitel aufgeteilt sind und ein jedes mit einer bündigen Zusammenfassung schließt, muss die mangelnde Qualität der Abbildungen und das uneinheitliche Layout der Karten negativ angemerkt werden. So sind einige Karten, etwa Map 5 (S. 77), derart pixelig, dass man sie geradezu der Frühzeit des Plottens entsprungen glaubt.

Im ersten Kapitel werden vier Kategorien archäologisch erfasster, nicht-agrarischer Plätze der Späten Eisenzeit als Vorstufe der urbanen Zentren vorgestellt, wobei insbesondere Landeplätze und Produktionszentren im Blickfeld stehen. Aber erst die im zweiten Kapitel behandelten emporia werden als urbane Orte klassifiziert. Sie werden, der aktuellen Forschungsauffassung folgend, als Gesellschafts- und Herrschaftsgrenzen ignorierende Knotenpunkte in einem Nordeuropa umspannenden maritimen Netzwerk verstanden, deren ökonomische Grundlage auf Handwerk, vor allem aber auf dem Fernhandel lag. Auch wenn nicht immer greifbar, waren regionale Machthaber oder der dänische König mit den emporia verbunden. Die Könige sind es auch, die nach der Bewertung Corsis bei der nächsten Stufe der Urbanisierung zwischen 950 und 1050 die zentrale Rolle einnehmen. Akteure wie Harald Blauzahn und Knut der Große untermauerten ihren Herrschaftsanspruch durch die Gründung und Entwicklung zahlreicher civitates wie Viborg oder Roskilde im dänischen Kernland, die hier administrative Funktionen einnahmen. Auch wenn beides eng verwoben ist, bewertet Corsi, anders als Søvsø, weniger die Christianisierung, als die Machtsicherung der dänischen Könige als wesentlichen Faktor hinter den Stadtgründungen. Bereits existierende und an die Seewege angebundene Zentren wie Haithabu werden wiederum an die Entwicklungen im internationalen Fernhandel angepasst.

Die nächsten beiden Kapitel behandeln die Zeiträume von 1050 bis 1200 und 1200 bis 1350. Dabei werden einerseits die gesamteuropäischen Entwicklungen, wie die agrarische Revolution und der Bevölkerungsanstieg, als Faktoren diskutiert, und anderseits die spezifische Rolle der Kirche und des Königshauses unter die Lupe genommen. Neben dem steigenden Handelsvolumen und der weiteren Ausdifferenzierung des Handwerks, beides getrieben durch technische Entwicklungen, traten jetzt auch die Bedeutung der städtischen Selbstorganisation und der Gesetzgebung hinzu. Insgesamt stieg in der ersten Periode die Zahl der Städte weiter an, während sie sich im 13. und 14. Jahrhundert fast verdoppelte. Der Urbanisierungsprozess näherte sich damit weiter gesamteuropäischen Mustern an, wobei das dänische Bürgertum nie die Unabhängigkeit vom König erreichte, wie es bei einigen Städten im Heiligen Römischen Reich der Fall war. Jedoch versäumt es Corsi, darauf einzugehen, dass der Zeitraum zwischen 1200 und 1350 nicht ausschließlich von urbaner Prosperität geprägt war, sondern Städte wie Schleswig auch mit einem wirtschaftlichen Bedeutungsverlust zu kämpfen hatten. Quellentechnisch entfernt sie sich in diesen Kapiteln zudem immer mehr von den vormals dominierenden Bodenfunden und bezieht sich zunehmend auf die schriftliche Überlieferung. Dies ist zwar vor dem Hintergrund der im Spätmittelalter zunehmenden Qualität und des Umfangs der Schriftquellen verständlich, hinterlässt aber den Eindruck, dass die Archäologie zum Verständnis des ausgehenden Mittelalters nichts Grundlegendes mehr beizutragen hätte. Dabei sind gerade einschneidende topographische Umgestaltungen des urbanen Raums, wie die Veränderung des Hafenviertels und die Anlage eines zentralen Marktplatzes in Schleswig im 13. Jahrhundert6, häufig erst durch archäologische Ausgrabungen bekannt geworden.7 Corsis Arbeit schließt mit einem bündigen Fazit, das die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel noch einmal zusammenfassend auf den Punkt bringt.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Rezensent beide Bände mit Gewinn gelesen hat. Søvsø zeigt mit seinem Werk auf, dass Ribe nach wie vor eine herausragende Bedeutung zum Verständnis der frühen Urbanisierung im südlichen Skandinavien einnimmt und auch für die Zukunft weitere Erkenntnisse liefern wird. Corsis Arbeit überzeugt hingegen durch ihre Prägnanz und breite Quellenadaption und dürfte trotz geringerer Lücken für zukünftige Studien auf dem Feld der Stadtentstehung regelmäßig als Nachschlage- und Übersichtswerk herangezogen werden. Dass beide Autor:innen teilweise zu unterschiedlichen Bewertungen einzelner Urbanisierungsphasen kommen, sollte dabei weniger als Widerspruch, sondern vielmehr als Anregung und Bereicherung für die weitere Diskussion um die Urbanisierung Südskandinaviens verstanden werden.

Anmerkungen:
1 Claus Feveile, Det ældste Ribe. Udgravninger på nordsiden af Ribe Å 1984–2000. Ribe studier 1. Jysk Arkæologisk Selskabs skrifter 51, Aarhus 2006.
2 Søren M. Sindbæk, Northern Emporium: The Archaeology of Urban Networks in Viking-Age Ribe, in: Rubina Raja / Søren M. Sindbæk (Hrsg.), Urban Network Evolutions. Towards a High-Definition Archaeology, Aarhus 2018, S. 161–166; Felix Rösch, Das Schleswiger Hafenviertel im Hochmittelalter. Entstehung – Entwicklung – Topographie. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 26, Bonn 2018; Volker Hilberg, Handel und Rohstofftransfer nach Skandinavien und ins Ostseegebiet. Haithabu/Schleswig und der Kontinent im 11. Jahrhundert, in: Matthias Wemhoff / Michael M. Rind (Hrsg.), Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland, Petersberg 2018, S. 217–227.
3 Martina Löw / Helmuth Berking (Hrsg.), Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung. Interdisziplinäre Stadtforschung 1, Frankfurt am Main 2008.
4 Rösch, Schleswiger Hafenviertel, S. 239–276.
5 Timothy Bolton, The Empire of Cnut the Great. Conquest and the Consolidation of Power in Northern Europe in the Early Eleventh Century. The Northern World 40, Leiden 2009.
6 Rösch, Schleswiger Hafenviertel, S. 263–282.
7 Vergleiche beispielsweise Jan Bill / Birte L. Clausen (Hrsg.), Maritime Topography and the Medieval Town. Publications from the National Museum. Studies in Archaeology & History vol. 4, Copenhagen 1999.

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